150 Jahre Pariser Kommune

Nur 72 Tage bestand die Pariser Kommune im Frühjahr 1871, hervorgegangen aus einem von Arbeiter_innen angeführten Aufstand, der Paris zu einem autonomen Gemeinwesen machte, dessen gesellschaftliches Leben nach Prinzipien der gegenseitigen Hilfe und des guten Lebens für alle umgestaltet werden sollte. Inmitten des preußisch-französischen Krieges, der vom 19. Juli 1870 bis 10. Mai 1871 dauerte, erklärte Karl Marx die Pariser Kommune als „die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.“

Eine der Vorbedingungen für das Entstehen der Kommune war die katastrophale militärische Niederlage, die Frankreichs Kaiser Napoleon III. 1870 gegen Preußen erlitt. Der Großteil seiner Armee geriet in Gefangenschaft und er selbst wurde im September 1870 gestürzt. Ohne die Fähigkeit der physischen Machtausübung durch Armee und Polizei erwies es sich für die neue Regierung als sehr schwierig, die Autorität des französischen Staates wiederherzustellen.

Eine weitere Voraussetzung war die kollektive Organisierung der Pariser Arbeiter-_innen, die die Mehrheit der Hauptstadtbevölkerung ausmachten. Aber die meisten von ihnen arbeiteten nur in winzigen Werkstätten; 62 Prozent der Wirtschaftseinheiten bestanden gerade einmal aus zwei Arbeitern, während nur sieben Prozent mehr als zehn beschäftigten. Als Preußen den Belagerungszustand über Paris verhängte, floh die Mehrheit der Reichen aus der Stadt, das Wirtschaftsleben kam zum Erliegen und die Armen litten unter einer schrecklichen Hungersnot.

Um der massiven Unzufriedenheit zu begegnen und die Mittel zur Verteidigung der Stadt bereitzustellen, bewaffnete die Regierung die Arbeiter, die nun die überwältigende Mehrheit der 340.000 Personen starken Nationalgarde bildeten. Auf diesem höchst eigenen Wege kam die Pariser Arbeiterklasse zu ihrer kollektiven Organisation. Die Offiziere der Nationalgarde wurden gewählt und durch das tägliche Versammeln zu Übungszwecken konnten die einfachen Soldaten direkte demokratische Kontrolle über sie ausüben. Ein aus Delegierten der verschiedenen Milizeinheiten zusammengesetztes Zentralkomitee verlieh dieser Massenbewegung direkten demokratischen Ausdruck.

Als die französische Regierung mit Preußen ihren Frieden geschlossen hatte, sah sie diese Milizeinheiten als tötliche Bedrohung an. Bereits am 18. März 1871 versammelte sie die wenigen Soldaten, die ihr geblieben waren und versuchte die Miliz durch das Fortschaffen ihrer Kanonen vom Montmartre zu entwaffnen. Massenproteste von Frauen aus der Arbeiterklasse und eine Meuterei unter den Soldaten verhinderte dies, worauf die Restverbände des Staates sich ins nahe gelegene Versailles davonmachten und einen Bürgerkrieg entfesselten, der in der Überwindung der Stadtmauern und dem gnadenlosen Abschlachten der arbeitenden Klasse endete. Die Versailler Kräfte ertränkten, verstärkt durch rasch von Preußen aus der Gefangenschaft entlassene Soldaten, die Stadt Paris in Blut, um zu verhindern, dass sich die Subversion weiter ausbreitete. Die Pariser Kommune endete am 28. Mai 1871 mit der Erschießung von 147 Kommunard_innen an der südlichen Mauer des Friedhofs Père Lachaise.

Auch wenn die Pariser Kommune sehr schnell von den Heeren der Reaktion zerschlagen worden war, galt sie allgemein weltweit als eine der wichtigsten Erfahrungen des Kampfes der Arbeiter_innen für ihre Emanzipation. Die Kommune zeigte auf, dass es nötig ist, die alte Regierungsform, die alte Bürokratie und den Staat zu zerstören und die temporäre Selbstorganisation der Massen als dauerhafte Macht zu stärken, um die im Staat konzentrierte kapitalistische Vorherrschaft zu brechen.

Zu Beginn der Kommune wählten die Pariser Bürger und Arbeiter nach altem Muster ein Parlament1, aber dieses Parlament wurde sofort zu etwas anderem als unser Parlament. Es diente nicht dazu, das Volk durch schöne Reden zu gängeln und dadurch einer Kapitalisten- und Herrscherclique ungestört ihre Privatgeschäfte besorgen zu lassen; die Personen, die dort beisammensaßen, mussten für das Volk die Regelung und Verwaltung aller öffentlichen Angelegenheiten besorgen. Aus einer parlamentarischen verwandelte sie sich schnell in eine arbeitende Körperschaft; sie teilte sich in Arbeitsgruppen, die die Durchführung der neuen Gesetze auf sich nahmen. So verschwand die Bürokratie als besondere, unabhängige, das Volk beherrschende Klasse und so wurde die Trennung der gesetzgebenden und der ausführenden Gewalt aufgehoben. Die Personen, die jetzt als „Beamte“ dem Volk gegenübertraten, waren zugleich unmittelbar Gewählte und Beauftragte des Volkes, die zu jeder Zeit abberufen und ersetzt werden konnten. Die Kommune durchlief so eine Umgestaltung von einer rein parlamentarischen hin zu einer arbeitenden Körperschaft, von einer bürgerlichen Form zu einer proletarischen Form.

Die bevorzugte Größenordnung in der Gedankenwelt der Kommune war die autonome lokale Einheit, eingebettet in einen internationalistischen Horizont. Der Nation gaben die Kommunard_innen so wenig Raum wie Markt und Staat. Während der Kommune wollte Paris nicht die Hauptstadt Frankreichs sein, sondern ein unabhängiges Gemeinwesen in einer weltumspannenden Föderation der Völker; kein Staat, sondern Element in einem Bund von Kommunen, der letztlich als internationaler gedacht war. Im Schatten dieses kommunal-organisierten Arbeiter_innenrates genossen zwischen März und Mai 1871 verschiedene Initiativen eine außergewöhnliche Blütezeit. Dabei wurden radikale Experimente bezüglich Bildung, Arbeiter_innenkontrolle, Kunst und soziale Gerechtigkeit unternommen.

Die Erfahrung von 1871 zeigt, dass kollektive, demokratische Selbstorganisation auf die ungewöhnlichste Weise entstehen kann und sie bleibt durch die Internationale, das von einem Kommunarden geschriebene Lied, in dem ihre Ziele symbolisiert sind, bis zum heutigen Tag eine Inspiration!

[1] Das Frauenwahlrecht in Frankreich wurde im 2. Weltkrieg am 21.4.1944 eingeführt.